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Verletzung des Subsidiaritätsprinzips im Amtshilfeverfahren

Verletzung des Subsidiaritätsprinzips im Amtshilfeverfahren

Jurisprudence
Internationales Steuerrecht

Verletzung des Subsidiaritätsprinzips im Amtshilfeverfahren

2C_703/2019

Am 22. Juni 2016 richtete die zuständige indische Steuerbehörde vier Amtshilfeersuchen an die ESTV, die A, seinen Sohn C, seine Tochter B und E und den Sohn von C betrafen. Nach Angaben der indischen Behörde hatten A, B und C mehrere nicht deklarierte Bankkonten. Von einem Konto wurde im Jahr 2008 eine Überweisung in Höhe von USD 4‘534‘468 auf ein in Singapur eröffnetes Bankkonto im Namen der Gesellschaft H, an der C und E beteiligt waren, geleistet. Darüber hinaus wurde im Jahr 2008 eine weitere Überweisung in Höhe von USD 1‘240‘000 von einem anderen Bankkonto, welches C unterhielt, auf das oben genannte Bankkonto in Singapur vorgenommen. A und E verneinen jegliche Verbindung mit diesen Konten. Die indische Behörde verlangte daher Bankunterlagen zu den betroffenen Konten sowie zu allen anderen Konten, die eine der betroffenen Personen bei der Bank für den Zeitraum vom 1. April 1999 bis zum 31. März 2016 unterhalten hat.

Mit vier Schlussverfügungen vom 11. Mai 2018 gewährte die ESTV der indischen Behörde Amtshilfe, beschränkte den Informationsaustausch jedoch auf die Zeiträume ab dem 1. April 2011.

Mit Urteil vom 5. August 2019 gab das BVGr den Beschwerden der vom Amtshilfeersuchen betroffenen Personen teilweise statt und bestätigte, dass die Amtshilfe für Indien zu gewähren sei, untersagte der ESTV aber die Übermittlung der Informationen betreffend den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 31. März 2016 mit der Begründung, dass die Frist für die Steuerdeklaration der Einkünfte für diesen Zeitraum zum Zeitpunkt der Ersuchen noch offen gewesen sei und die ersuchende Behörde insoweit den Grundsatz der Subsidiarität nicht beachtet habe. Die ESTV erhob Beschwerde beim BGr, weil sie der Ansicht war, das BVGr habe das Subsidiaritätsprinzip falsch beurteilt.

Das BGr weist zunächst darauf hin, dass der Grundsatz der Subsidiarität im Bereich der internationalen Amtshilfe in Steuersachen bedeutet, dass von den Staaten erwartet wird, dass sie sich zunächst selbst um die benötigten Informationen bemühen, bevor sie ein Amtshilfeersuchen stellen. Das Ersuchen um internationale Amtshilfe sollte daher eine subsidiäre Angelegenheit sein, um den ersuchten Staat nicht mit der Beschaffung von Informationen zu belasten, die dem ersuchenden Staat im Rahmen seines innerstaatlichen Steuerverfahrens zur Verfügung stehen (E. 6.1). Das BGr stellt sodann fest, dass das Subsidiaritätsprinzip in Artikel 10 (a) des Protokolls zum DBA CH-IN, welches Art. 26 DBA CH-IN ergänzt, ausdrücklich vorgesehen ist. Nach dieser Bestimmung wird davon ausgegangen, dass der ersuchende Staat zunächst die "üblichen" Informationsquellen ausgeschöpft hat, die in seinem inländischen Steuerverfahren vorgesehen sind (E. 6.2). Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass zu prüfen ist, ob das Subsidiaritätsprinzip zum Zeitpunkt des Ersuchens des ersuchenden Staates beachtet wurde (E. 6.3).

Das BGr betont, dass es nicht die Aufgabe des ersuchten Staates sein kann, das innerstaatliche Recht des ersuchenden Staates im Rahmen der Erledigung eines Amtshilfeersuchens systematisch zu prüfen. Macht die vom Amtshilfeersuchen betroffene Person jedoch geltend, dass am Tag des Ersuchens die Frist für die Einreichung der Steuererklärung für eine der betroffenen Steuerperioden noch offen war, ist die ESTV verpflichtet, diesen Punkt abzuklären. Dies entspricht auch Art. 6 Abs. 3 StAhiG, also dem Grundsatz, dass die ESTV der ersuchenden Behörde die Möglichkeit geben muss, ein Amtshilfeersuchen zu vervollständigen (E. 6.5).

Die Übermittelbarkeit der betreffenden Informationen hängt dann davon ab, wie die ersuchende Behörde auf das Ersuchen um Klärung reagiert. Gibt die ersuchende Behörde an, dass das Subsidiaritätsprinzip eingehalten wurde, und erläutert sie, warum sie diesen Standpunkt vertritt, muss die ESTV vorbehaltlich widersprüchlicher Elemente, die den guten Glauben des ersuchenden Staates in Frage stellen könnten, davon ausgehen, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht verletzt wurde (E. 6.6.1). Gibt die ersuchende Behörde an, dass die Frist für die Einreichung der Steuererklärung für eine der vom Ersuchen erfassten Steuerperioden am Tag des Ersuchens noch offen war, diese Frist aber inzwischen abgelaufen ist und die erbetenen Informationen voraussichtlich noch relevant sind, so muss die ESTV diese an die ersuchende Behörde weiterleiten (E. 6.6.2). Kommt die ersuchende Behörde schliesslich dem Ersuchen der ESTV um Klärung nicht nach oder bestätigt sie nicht, dass die Frist für die Einreichung der Steuererklärung inzwischen abgelaufen ist und die verlangten Informationen wahrscheinlich immer noch relevant sind, so muss die ESTV feststellen, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht eingehalten wurde und von der Weiterleitung der betreffenden Informationen absehen (E. 6.6.3).

Das BGr stellt fest, dass im vorliegenden Fall die Frist zur Erklärung der Einkünfte für den indischen Besteuerungszeitraum vom 1. April 2015 bis 31. März 2016 noch nicht abgelaufen war, als die klagende Behörde ihre Amtshilfeersuchen stellte. Da die Beklagten die ESTV darauf aufmerksam gemacht haben, war die ESTV verpflichtet, die klagende Behörde um eine Klärung zu bitten, was sie nicht getan hat. Das BGr folgert daraus, dass die Informationen, die sich auf den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 31. März 2016 beziehen, wegen Verstosses gegen das Subsidiaritätsprinzip aus den Informationen, die der indischen Behörde zu übermitteln sind, entfernt werden müssen (E. 6.7).

usNet StR 15.02.2021