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Aktivierung von abgeschlossenen, aber noch nicht fakturierten Leistungen

Aktivierung von abgeschlossenen, aber noch nicht fakturierten Leistungen

Rechtsprechung
Direkte Steuern

Aktivierung von abgeschlossenen, aber noch nicht fakturierten Leistungen

2C_632/2022

Die A.AG (nachfolgend: die Steuerpflichtige) mit statutarischem Sitz im Kanton Thurgau verbuchte in der hier interessierenden Steuerperiode 2019 - wie in den Jahren zuvor - ihre im Dezember an die Kunden erbrachten, aber erst im Januar 2020 fakturierten Leistungen auf dem Konto "Angefangene Arbeiten". Die Steuerpflichtige bewertete diese Leistungen mit ihren Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten, je unter Abzug des Warendrittels. Dabei handelte es sich um die Lieferung von Kies und Frischbeton, Transport-, Aushub- und Entsorgungsleistungen, die zu festen Kubikmeter- und Fuhrpreisen erbracht wurden. Der Saldo des Kontos "Angefangene Arbeiten" belief sich zu Ende des Geschäftsjahrs 2019 auf Fr. 404'000.--. Am Ende der Vorperiode hatte er Fr. 444'000.—betragen.

Die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau (KSTV/TG; nachfolgend: die Veranlagungsbehörde) führte am 7. September 2020 bei der Steuerpflichtigen eine Buchprüfung durch. Die Veranlagungsbehörde stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei den "Angefangenen Arbeiten" um verkaufte Waren handle, die als transitorische Aktiven zum vollständigen Netto-Verkaufspreis hätten verbucht werden müssen. Die im Dezember 2019 abgeschlossenen, aber bis Ende 2019 noch nicht fakturierten Leistungen von Fr. 732'540.-- seien nicht als Vorräte (bzw. "Angefangene Arbeiten"), sondern als Forderungen (bzw., da die Rechnungsstellung noch nicht erfolgt sei, als Transitorische Aktiven) zu verbuchen. Dabei könne ein pauschales Delkredere berücksichtigt werden und sei die Steuerrückstellung entsprechend anzupassen.

Aus den Erwägungen:

Der vorliegende Sachverhalt rufe nach Klärung der handelsrechtlichen Begriffe "Vorräte" ("stocks"), "aktive Rechnungsabgrenzungen" ("actifs de régularisation") und "Debitoren" ("créances"). Allen drei Instituten gemeinsam sei, dass die für die Hauptleistung (Lieferung einer Ware oder Erbringung einer Dienstleistung) geschuldete Gegenleistung (das Entgelt) noch nicht eingegangen, dass der Vorgang buchhalterisch also noch nicht abgeschlossen sei (E.2.3.1)

Von "Debitoren" (oder "Forderungen aus Lieferungen und Leistungen"; Art. 959a Abs. 1 Ziff. 1 lit. b OR sei zu sprechen, wenn die Lieferung oder Dienstleistung erbracht und fakturiert worden sei.  Debitoren seien zu buchen, wenn die Hauptleistung fakturiert werde, was wiederum bedinge, dass der Anspruch auf Gegenleistung entstanden sei. Handelsrechtlicher Praxis zufolge entstehe der Anspruch auf Gegenleistung, sobald die Ware ausgeliefert bzw. die Dienstleistung vorgenommen werde. Im Fall werkvertraglicher Lieferungen trete der Anspruch gemäss dem Arbeitsfortschritt ein. Als Forderung zu buchen sei der Betrag, der sich aus der Rechnung ergebe, gemeinhin also der Verkehrswert der Lieferung oder Leistung (E.2.3.2).  

Der Begriff der "Vorräte" (Art. 959a Abs. 1 Ziff. 1 lit. d in Verbindung mit Art. 960c Abs. 2 OR) erfasse vornehmlich bewegliche Sachen, so insbesondere Rohmaterialien, Halbfabrikate, Fertigfabrikate und Handelswaren. Als Halbfabrikat gelten auch die "angefangenen Arbeiten".

Vorräte würden erst in der Zukunft in ein Umsatzgeschäft einfliessen. Sie würden aus diesem Grund am Bilanzstichtag noch keinen Anspruch auf eine Gegenleistung verleihen. Dies habe seinerseits zur Folge, dass die Vorräte (höchstens) zum Wert ihrer Anschaffungs- oder Herstellungskosten aktiviert werden dürfen (Art. 960a Abs. 1 [Ersterfassung] bzw. Art. 960c Abs. 1 [Folgebewertung] OR), (E.2.3.3).

Zwischen den Debitoren und den Vorräten würden die aktiven Rechnungsabgrenzungen stehen. Ausgangspunkt bilde Art. 958b Abs. 1 OR 2011. Danach müssen Aufwände und Erträge voneinander in zeitlicher und sachlicher Hinsicht abgegrenzt werden. Lieferungen und Leistungen, die am Bilanzstichtag erbracht waren und damit Anspruch auf eine Gegenleistung verleihen, ohne dass sie bis zum Bilanzstichtag fakturiert worden seien, würden betriebswirtschaftlich dem bis zum Bilanzstichtag laufenden Geschäftsjahr angehören. Um diese zeitliche Zuweisung auch buchhalterisch sicherzustellen, sei nach klarem Handelsrecht «Ertragsnachtrag» zum Gegenstand einer aktiven Rechnungsabgrenzung zu machen (E.2.3.4).

Nichts daran ändere, dass die Steuerpflichtige in ständiger Praxis ihre Lieferungen und Leistungen erst im Folgemonat fakturiere. Dieser Umstand berühre zwar den Geldfluss, nicht aber den Zeitpunkt, in welchem die Gegenleistung geschuldet ist. Von allgemeinem Schuldrechts wegen stünde nichts im Weg, die Lieferung oder Leistung unmittelbar in Rechnung zu stellen (E.3.2.3).

Die streitbetroffenen Lieferungen und Leistungen seien damit am Bilanzstichtag als erbracht und die Gegenleistungen als geschuldet zu betrachten. Dies stehe einer Verbuchung als "Angefangene Arbeiten" und zu Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten, je unter Abzug des Warendrittels entgegen. Hätte die Steuerpflichtige die Rechnungen bereits erstellt gehabt, wäre ausser Frage, dass der volle Rechnungsbetrag zu verbuchen gewesen wäre. Der Umstand, dass einzig noch die Rechnungsstellung ausstehe, könne an der Höhe der Bewertung für sich alleine nichts ändern. Massgebend sei, dass der Anspruch auf die Gegenleistung entstanden ist. Die Gegenleistung erstrecke sich auf die jeweiligen Einzelkosten, die damit zusammenhängenden Gemeinkosten und den Gewinnzuschlag. Dieser Betrag sei am Bilanzstichtag als antizipatives Aktivum einzubuchen (E.3.2.4). Die Beschwerde wird abgewiesen.

iusNet StR 29.11.2022