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Verrechnung der Forderung auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer mit direkter Bundessteuer

Verrechnung der Forderung auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer mit direkter Bundessteuer

Rechtsprechung
Direkte Steuern

Verrechnung der Forderung auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer mit direkter Bundessteuer

2C_451/2018 und 2C_452/2018

Sachverhalt

A ist Alleinaktionär der Gesellschaft D AG mit Sitz im Kt OW. Im Jahr 2012 erhielt er eine Bruttodividende von CHF 15'000'000, d.h. einen Nettobetrag von CHF 9'750'000 nach Abzug der Verrechnungssteuer. Er beantragte bei der KStV GE eine Befreiung von den Akontozahlungen für die Steuerperiode 2012, da die zurückbehaltene Verrechnungssteuer von CHF 5'250'000 den gesamten Steuerbetrag abdeckte. Die KStV GE befreite den Steuerpflichtigen von den Akontozahlungen für die Kantons- und Gemeindesteuern, übermittelte ihm jedoch Einzahlungsscheine für die direkte Bundessteuer. A unterliess es, den in Rechnung gestellten provisorischen Steuerbetrag für die direkte Bundessteuer 2012 von CHF 507'794 mit Fälligkeit am 15. April 2013 zu bezahlen.

In seiner Steuererklärung 2012 deklarierte A die Bruttodividende von CHF 15'000'000 - sowie andere verrechnungssteuerpflichtige Erträge - und beantragte, die Anrechnung der Verrechnungssteuer von CHF 5'290'566 an die direkten Steuern. Der Steuerpflichtige wurde am 18. Januar 2016 für die Kantons- und Gemeindesteuern sowie die direkte Bundessteuer veranlagt. Der Saldo der Verrechnungssteuer wurde nach Verrechnung mit den Kantons- und Gemeindesteuern auf das Konto für die direkte Bundessteuer gutgeschrieben. In der Schlussrechnung für die direkte Bundessteuer war insbesondere ein Verzugszins von CHF 38'906 enthalten, der auf der Grundlage der provisorischen Steuerrechnung vom 15. März 2013 berechnet wurde. A erhob Einsprache gegen die Veranlagung der direkten Bundessteuer 2012, um die Verzugszinsen zu bestreiten. Mit Einspracheentscheid vom 4.  März 2016 bestätigte die KStV GE die Verzugszinsen gemäss Schlussrechnung für die direkte Bundessteuer. Das VGr GE (Tribunal administratif de première instance; TAPI) hiess den Rekurs von A gut und verwies den Fall zur neuen Beurteilung an die KStV GE zurück. Die KStV GE legte gegen dieses Urteil Rekurs ein, welcher jedoch vom VGr GE abgewiesen wurde, womit das Urteil der Vorinstanz bestätigte wurde.

Daraufhin beantragten die ESTV und die KStV GE in separaten Beschwerdeverfahren beim BGr, dass das Urteil des VGr GE aufzuheben und der Einspracheentscheid der KStV GE vom 4. März 2016 zu bestätigen sei.

 

Erwägungen

Aus Sicht der direkten Bundessteuer weist das BGr zunächst darauf hin, dass die Steuer am allgemeinen vom EFD festgelegten Fälligkeitstermin fällig wird, d.h. am 1. März des Jahres, welches auf das relevante Steuerjahr folgt (Art. 161 Abs. 1 DBG und Art. 1 Abs. 1 der Verordnung des EFD). Die Steuer ist innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit zu begleichen. Bei Unterlassung der fristgemässen Entrichtung der Steuern werden Verzugszinsen fällig (Art. 164 Abs. 1 DBG). Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die KStV GE dem Steuerpflichtigen A eine provisorische Rechnung für die direkte Bundessteuer 2012 zustellte und dass letzterer diese Rechnung nicht bezahlte. Grundsätzlich waren damit Verzugszinsen nach Ablauf der Frist von 30 Tagen nach Zustellung der provisorischen Steuerrechnung, d.h. ab dem 15. April 2013, geschuldet.

Aus Sicht der Verrechnungssteuer kann der Steuerpflichtige seinen Rückerstattungsanspruch mit seiner Steuererklärung geltend machen. Dieser Anspruch muss Gegenstand eines Entscheids der zuständigen Behörde sein (Art. 29 VStG), d.h. der kantonalen Steuerverwaltung in Bezug auf Anträge von natürlichen Personen (Art. 30 Abs. 1 VStG). Die Kantone befriedigen den Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer in der Regel in Form der Verrechnung mit den vom Steuerpflichtigen zu bezahlenden Kantons- und Gemeindesteuern, wobei der Überschuss in bar rückerstattet wird. Im Kanton Genf erfolgt die Verrechnung mit (i) den auf Einkommen und Vermögen der natürlichen Personen erhobenen Kantons- und Gemeindesteuern, (ii) der ergänzenden Liegenschaftssteuer für natürliche Personen und (iii) der Kopfsteuer. Der Überschuss wird in bar zurückerstattet.

Die Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf dem Wege der Verrechnung mit anderen Steuern, insbesondere der direkten Bundessteuer, ist im VStG nicht vorgesehen (BGE 2C_1110/2018 vom 27. Juni 2019). Art. 13 VStV, der eine Verrechnungsregel vorsieht, ist vorliegend nicht anwendbar, da er nur Fälle abdeckt, wo die ESTV die Verrechnungssteuer zurückzahlen muss, was insbesondere für die von juristischen Personen gestellten Rückerstattungsanträge zutrifft (Art. 30 Abs. 2 VStG). Die Möglichkeit einer Verrechnung im Sinne von Art. 120 ff. OR bleibt dahingegen im öffentlichen Recht im Falle eines Schweigens des Gesetzes und vorbehaltlich einer Unvereinbarkeit denkbar. Nach Ansicht des BGr besteht keine Unvereinbarkeit betreffend die Verrechnung (i) des geschuldeten Betrags aufgrund der Gutheissung der Rückerstattung der Verrechnungssteuer mit (ii) der Forderung der zuständigen Behörde im Bereich der direkten Bundessteuer (E. 6.4).

Im vorliegenden Fall stellt das BGr fest, dass die kantonale Behörde die zu erstattende Verrechnungssteuer von der direkten Bundessteuer 2012 abzog anstatt eine Rückerstattung in bar vorzunehmen. Da dieses Vorgehen keine Verrechnung im Sinne von Art. 31 VStG darstellt und ein solches Vorgehen für die direkte Bundessteuer in keinem Steuergesetz vorgesehen ist, kann es sich nur auf die Verrechnung im Sinne von Art. 120 ff. OR stützen.

Nach Art. 124 OR bewirkt eine Verrechnung, dass beide Schulden bis zur Höhe des niedrigeren Betrags und seit dem Zeitpunkt, in dem sie zur Verrechnung geeignet einander gegenüberstanden, als getilgt gelten. Ab dem Zeitpunkt, in dem die Verrechnung rechtswirksam wird, bleibt kein Raum mehr für Verzugszinsen (siehe BGE 4A_17/2013 vom 13. Mai 2013). Die Auswirkungen der Verrechnung gehen auf denjenigen Zeitpunkt zurück, in dem (i) die Forderung derjenigen Partei, welche von ihrem Recht der Verrechnung Gebrauch macht, fällig wird und damit der Forderung der Gegenpartei gegenübersteht, und (ii) die verrechnete Forderung beglichen werden kann (E. 6.6).

Die Forderung betreffend die direkte Bundessteuer 2012 wurde im vorliegenden Fall am 15. April 2013 fällig, so dass die Auswirkungen der Verrechnung auf diesen Zeitpunkt zurückgehen. Das BGr bestätigt damit, dass der Verzugszins, welcher auf der Grundlage der provisorischen Steuerrechnung vom 15. März 2013 berechnet und dem Steuerpflichtigen mit der Schlussrechnung vom 18. Januar 2016 für die direkte Bundessteuer 2012 belastet wurde, gemäss dem Urteil des VGr GE zu annullieren ist.

Das BGr bestätigt zudem, entgegen den Vorbringen der Steuerbehörden im vorliegenden Fall, dass keine Verletzung der Voraussetzungen einer Verrechnung nach Art. 120 ff. OR vorliegt.

Zunächst stellt das BGr fest, dass die zuständige Steuerbehörde und der Steuerpflichtige Schuldner und Gläubiger von Leistungen, die ihrem Gegenstande nach gleichartig sind (Geldschulden), waren. Dementsprechend sind die Voraussetzungen der Gleichartigkeit und der Gegenseitigkeit nach Art. 120 Abs. 1 OR erfüllt (E. 7.2). Das BGr hält anschliessend fest, dass die KStV GE ihre Bereitschaft bekundet hat, ihre Forderung betreffend die direkte Bundessteuer mit der Forderung des Steuerpflichtigen betreffend die Rückerstattung der Verrechnungssteuer zu verrechnen. Daher ist auch die Voraussetzung der Geltendmachung durch den Schuldner (Art. 124 Abs. 1 OR) erfüllt (E. 7.3). Abschließend stellt das BGr fest, dass die Voraussetzung der Fälligkeit im Sinne von Art. 120 Abs. 1 OR nicht beide Forderungen betrifft, sondern nur die zu verrechnende Forderung, d.h. die Forderung derjenigen Partei, welche die Verrechnung geltend macht. Es ist dahingegen ausreichend, dass die verrechnete Forderung (Hauptforderung der Gegenpartei) erfüllbar ist. Im vorliegenden Fall war es die KStV GE, welche ihre Forderung betreffend die direkte Bundessteuer verrechnete. Da diese Forderung fällig war und der Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer erfüllbar war, konnte die KStV GE diese rechtswirksam verrechnen (E. 7.4).

Aufgrund des Gesagten werden die von der ESTV und der KStV GE eingereichten Beschwerden abgewiesen.

iusNet StR 26.11.2019