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Rückerstattung der Verrechnungssteuer im internationalen Verhältnis

Rückerstattung der Verrechnungssteuer im internationalen Verhältnis

Rechtsprechung
Verrechnungssteuer

Rückerstattung der Verrechnungssteuer im internationalen Verhältnis

2C_518/2019

Die A SA ist eine Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Frankreich. Sie hat eine Zweigniederlassung in Zürich, welche im HR ZH eingetragen ist. Sowohl der Sitz als auch die Zweigniederlassung betreiben insbesondere Arbitrage auf Indizes mittels des Terminmarkts ("reverse cash and carry arbitrage").

Die Gesellschaft beantragte über ihre Zürcher Zweigniederlassung in den Jahren 2009 und 2010 die Rückerstattung der Verrechnungssteuer, welche auf den in den Jahren 2008 und 2009 fällig gewordenen Erträgen von Schweizer Aktien erhoben wurde. Die ESTV lehnte diese auf der Grundlage des innerstaatlichen Rechts gestellten Anträge ab, da die Erträge, für welche eine Rückerstattung der Verrechnungssteuer beantragt wurde, nicht Teil des Betriebsvermögens der Zweigniederlassung waren. Diese Verweigerung der Rückerstattung wurde letztinstanzlich vom BGr bestätigt (Urteil 2C_642/2014 vom 22. November 2015).

Auf der Grundlage DBA CH-FR beantragte die A SA sodann die teilweise Rückerstattung der auf den Dividenden 2008 und 2009 erhobenen Verrechnungssteuer (d.h. denjenigen Anteil, welcher 15 % der Bruttodividende überschritt). Die ESTV lehnte diese Anträge infolge Fristablaufs ab. Das BVGr hat die von der A SA eingereichte Beschwerde abgewiesen und den Entscheid der ESTV bestätigt.

Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten hat die A SA sodann beim BGr beantragt, das Urteil des BVGr dahingehend zu ändern, dass ihr die Verrechnungssteuer zurückerstattet wird.

Der vorliegende Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Frist für den Antrag zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer, welche auf den in den Jahren 2008 und 2009 fällig gewordenen Erträgen erhoben wurde, abgelaufen ist.

In seinem Urteil 2C_249/2018 vom 25. Juni 2019 hat sich das BGr bereits mit der Frage befasst, innert welcher Frist der Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer bei Anwendung des DBA CH-FR zu stellen ist. Bei dieser Gelegenheit kam es zum Schluss, dass das Fehlen abkommensrechtlicher Vorschriften zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer für Personen mit Wohnsitz in Frankreich eine echte Lücke sei, welche es durch Art. 32 Abs. 1 VStG zu schliessen gelte (Urteil 2C_249/2018 vom 25. Juni 2019, E. 3.4).

Nach Ansicht des BGr kann diese Rechtsprechung jedoch nicht befolgt werden, insoweit als dass es nicht Sache des Richters ist, eine mögliche Lücke eines internationalen Abkommens durch Auslegung zu schliessen, indem seine Anwendung über seinen Wortlaut hinaus erweitert wird (BGE 135 V 339, E. 5.3, S. 349 und Verweise). Es gilt im Gegenteil, eine Auslegung des DBA CH-FR gemäss den Regeln für die Auslegung internationaler Verträge, und zwar gemäss den Regeln des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (VRK) vorzunehmen (E. 4.4).

Im vorliegenden Fall sieht Art. 31 Abs. 1 DBA CH-FR vor, dass die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Durchführung dieses Abkommens regeln, indem sie sich namentlich über das im Art. 11 DBA CH-FR (Dividenden) vorgesehene Entlastungsverfahren einigen. Das BGr stellt fest, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf die Fristen, innert derer ein Antrag zur Rückerstattung der Verrechnungssteuer gestellt werden muss, nichts vereinbart haben. Dahingegen haben sie beide die Praxis des anderen Vertragsstaates veröffentlicht. Die zuständige französische Steuerbehörde (La Direction générale des finances publique de la République française) hat dementsprechend eine Übersicht des DBA CH-FR publiziert, in welcher ihre Staatsangehörigen darauf hingewiesen werden, dass sie ihre Anträge zur Rückerstattung der in der Schweiz erhobenen Verrechnungssteuer der ESTV innert drei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem ihre Einkünfte in der Schweiz besteuert worden sind, zukommen lassen müssen (E. 4.6).

Nach Ansicht des BGr wiederspiegelt diese parallele Veröffentlichung der Praktiken der Vertragsstaaten nach der Unterzeichnung des DBA CH-FR, was die Vertragsparteien im Sinne von Art. 31 VRK beabsichtigt haben. Das BGr stellt auch fest, dass Art. 31 Abs. 1 DBA CH-FR nicht vorsieht, in welcher Form sich die Vertragsstaaten zu einigen haben und dass diese entwickelte Praxis zumindest zeigt, dass sie sich durch abschliessende Handlungen geeinigt haben. Das BGr kommt zum Schluss, dass die Parteien jeweils eine bestimmte Frist von zwei Jahren (Frankreich) bzw. drei Jahren (Schweiz) anwenden wollen. Die anwendbare Frist für die Rückerstattung der in der Schweiz erhobenen Verrechnungssteuer im Falle der Anwendung des DBA CH-FR ist daher identisch mit derjenigen, die im innerstaatlichen Recht gilt (Art. 32 Abs. 1 VStG). Insofern hat die Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer (E. 4.7).

Das BGr prüft im Übrigen, ob mit den Anträgen betreffend die Rückerstattung der Verrechnungssteuer, welche im Jahr 2009 (für die Steuerperiode 2008) bzw. im Jahr 2010 (für die Steuerperiode 2009) eingereicht wurden, d.h. innerhalb der Frist von drei Jahren, die relevante Frist gewahrt wurde. Es stellt sich diesbezüglich insbesondere die Frage, ob die ursprünglichen Anträge den gleichen Gegenstand betreffen wie der Antrag im Jahr 2016, welcher vorliegend zu prüfen ist (E. 5).

Es erinnert in diesem Zusammenhang zunächst daran, dass der Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer, sei es gestützt auf Art. 24 Abs. 3 VStG oder das DBA CH-FR, auf einem völlig anderen Zusammenhang beruht und dieser daher nicht den gleichen Gegenstand betrifft (Urteil 2C_642/2014 vom 22. November 2015 [veröffentlicht im BGE 142 II 9, E. 7.2, S. 19]). Im vorliegenden Fall kommt das BGr zum Schluss, dass die Rückerstattungsanträge, welche die Beschwerdeführerin am 19. Februar 2016 einreichte, die dreijährige Verwirkungsfrist nicht wahren konnten (E. 5.1).

Das BGr hält schliesslich fest, dass die nicht erstreckbare Verwirkungsfrist von Art. 32 Abs. 1 VStG gemäss den in Art. 24 Abs. 1 VwVG festgelegten Bedingungen wiederhergestellt werden kann, falls der Steuerpflichtige ein Fristwiederherstellungsgesuch innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses einreicht (Urteil 2C_249/2018 vom 25. Juni 2019, E. 4.4). Das BGr stellt jedoch fest, dass die Beschwerdeführerin nicht innerhalb von 30 Tagen nach Mitteilung des Urteils des BGr vom 22. November 2015 reagiert hat, welches ihr die Rückerstattung der Verrechnungssteuer gestützt auf innerstaatliches Recht verweigerte. Es ist daher nicht erforderlich, weiter zu prüfen, ob die relevanten Bedingungen für die Wiederherstellung der Frist im vorliegenden Fall erfüllt sind (E. 5.2).

Nach dem vorstehend Gesagten wird die Beschwerde vom BGr abgewiesen.

iusNet StR 24.02.2020